Montag, 28. Dezember 2009

Die letzte Etappe

Nirmala und Vincent bringen mich am Abend noch zum Zug. Unterwegs komme ich mit einer jungen Frau aus Chennai (Madras) ins Gespräch. Ich habe vor, mich im Januar mit ihr zu treffen, dann will sie mir die Stadt zeigen.

Kurz vor 6 Uhr morgens erreichen wir Chennai. Als ich aus dem Zug steige, schlägt mir eine Welle schwüler Wärme entgegen. Divakar, ein Freund von Vincent, der mich von hier nach Vellore begleiten wird, kommt wenige Minuten später. Bis Januar sei es hier so „kalt“ sagt er, bevor wir in den Zug nach Vellore steigen. Der Mann, der mir gegenüber sitzt, trägt eine Jacke, Schal und Mütze. Ich habe meinen Pulli längst ausgezogen.

Schließlich erreichen wir Vellore. Divakar arbeitet dort als OM-Bookshop-Manager und hat mir schon einiges über die Stadt und das College erzählt. Ein weiterer Mitarbeiter wartet am Bahnsteig, das Taxi steht vor dem Bahnhof. Mit etwas Mühe finden wir meine Unterkunft. Der Manager dort ist gerade nicht da, und die Vertretung weiß von nichts. Ohne Divakar wäre ich verloren, weil in der Unterkunft alle nur Tamil sprechen. Nach einigem Hin und Her bekomme ich ein einigermaßen ordentliches Zimmer zugewiesen, das jedoch noch gereinigt werden muss.




Wir gehen so lange frühstücken und anschließend nimmt Divakar mich mit in den Bookshop. Ich stöbere in den Büchern herum, währenddessen organisiert er mir von irgendwo her eine SIM-Card, dann bekommt er wohl einen Anruf, dass mein Zimmer bereit sei. Als wir ankommen, ist der Manager da, der ebenfalls so gut wie kein Englisch versteht. Offensichtlich müsste ich mich zuerst bei der Polizei registrieren lassen, bevor ich einchecken darf, weil ich nicht direkt auf dem Campus wohne. Divakar diskutiert mit ihm und versichert mir anschließend, dass er alle Polizei-Officers kenne, er würde sich am Montag um alles kümmern. Er wird mich auch am nächsten Morgen zur Principals Office bringen, wo ich mich melden soll – wo das ist, hat mir vorher noch keiner verraten, aber Divakar kennt sich hier recht gut aus. Ich bin ihm und Vincent sehr dankbar, weil ich sonst ziemlich verloren wäre hier, und fange erst mal an, mich in meinem Zuhause für die nächsten Monate häuslich einzurichten.

Weihnachten in Kalwasrirampur

Am nächsten Morgen, es ist der 24.Dezember, erreiche ich um 8 Uhr schließlich Hyderabad in Andhra Pradesh. Seit meinem letzten Aufenthalt hier hat die Stadt einen neuen Flughafen bekommen und einige neue Straßen. Eine 10 km lange Brücke führt über die Innenstadt. Vincent, ein ehemaliger Klassenkamerad von mir aus OM-Zeiten holt mich am Flughafen ab. Für heute und morgen ist in Andhra Pradesh Streik angesagt. Selbe Geschichte wie in West Bengal. Ein Teil des Bundesstaates will als Telangana unabhängig werden. Hyderabad ist einer der Hauptstreitpunkte. Busse und LKWs dürfen heute nicht fahren, die Läden und Tankstellen bleiben geschlossen. Vincent hat am Morgen zum Glück noch eine offene gefunden.
Nirmala, seine Frau und auch eine ehemalige Klassenkameradin, begrüßt mich herzlich. Ein Freund kommt vorbei und sagt, wir sollten froh sein, dass wir gut vom Flughafen zurückgekommen sind, die Lage in der Stadt spitze sich zu. Eigentlich wollten Vincent und Nirmala schon morgens in das Dorf von Nirmalas Eltern aufbrechen, aber die Lage ich nicht sicher. Nancy, ihre Tochter, ist jedoch schon die ganze Woche bei den Großeltern, deshalb fahren wir schließlich doch los. Ich muss mehrmals versichern, dass ich auch in einem entlegenen Dorf klarkommen werde – was auch immer mich dort erwartet – bitte aber darum, Trinkwasser mitzunehmen.
Wir laden das Auto voll und nehmen aber nicht die Hauptstraße, sondern eine Huckelpiste, um aus der Stadt zu kommen. Nach einigen Kilometern halten wir an; Nirmalas Bruder holt etwas Asche vom Straßenrand und schmiert sie über das „AP“ auf dem Nummernschild. Es wird durch ein „TG“ ersetzt und soll uns unnötigen Ärger ersparen. Beim Weiterfahren sehen wir immer wieder brennende Autoreifen auf der Straße liegen und qualmende Aschehaufen, können aber daran vorbeifahren. Direkt vor uns wird kurz darauf ein LKW an den Rand gewunken, wir dürfen passieren. Kurz bevor wir in den Dschungel fahren finden wir noch eine Tankstelle, die wohl wegen des verschobenen zweiten Streiktages – eigentlich geplant für den 25.12., aber einige Christen konnten die Telangana-Führer dazu bewegen, ihn wegen Weihnachten auf den 26.12. zu verschieben – wieder offen hat.

Gegen 19.00 Uhr erreichen wir schließlich das Dorf, in dem Nirmala aufgewachsen hat. Das Badezimmer hat etwas von Sola. Essen darf ich als Gast zuerst und allein und wehre mich recht erfolgreich gegen bergeweise Reis und drei mal Nachschlag. Die Kirche liegt direkt neben dem Haus, der Gottesdienst wird bis Mitternacht dauern, aber ich schaue nur für einige Minuten vorbei, so weit her ist es mit meinem Telugu dann doch nicht. Ich bekomme das beste Zimmer zugewiesen. Es ist unerträglich warm und stickig hier drin, das Moskito-Coil beißt in den Augen und vor der „Tür“ quietscht das Küken, das ich gerade rausgeschmissen habe. Definitiv ein ungewöhnliches Weihnachten.






Am nächsten Tag ist es um 9.00 Uhr schon zu warm, um in der Sonne zu sitzen. Gegen Mittag wollen wir dann zum Weihnachtsgottesdienst in ein Nachbardorf fahren, aber das Autoschloss lässt sich nicht öffnen. Dem Pastor gelingt es schließlich, die Tür irgendwie zu öffnen, es ist natürlich schon zu spät und als wir schließlich ankommen, ist der Gottesdienst in dem anderen Dorf schon in vollem Gange. Wir dürfen draußen neben der Kirche auf den obligatorischen Plastikstühlen Platz nehmen. Alle anderen dürfen der Reihe nach auf Telugu predigen. Ich habe anschließend die Ehre, den Christmas-Cake anzuschneiden. Anschließend lädt uns ein Gemeindemitglied noch zum Essen ein.



Weil am 27.12. noch ein wichtiges muslimisches Fest ist und die Muslime in Hyderabad sehr maechtig, wird der zweite Streiktag ein weiteres Mal verschoben und wir koennen am 26.12. unbehelligt zurueck nach Hyderabad fahren.

Mittwoch, 23. Dezember 2009

Und wieder Delhi...

... heute sollte es eigentlich weitergehen nach Hyderabad, wo ich mit einigen Freunden Weihnachten feiern werde. Leider habe ich durch Verschulden der Airline meinen Anschlussflug verpasst und darf jetzt in Delhi übernachten... naja, dafür darf ich mal ohne zu zahlen im Hotel übernachten, hat auch was :)

Kachhwaa und Varanasi

Gott sei Dank fahren die Züge trotz Streik - die Fahrt zum Bahnhof war zugegebenermaßen etwas ungewöhnlich - und meiner hat auch nur 40 Minuten Verspätung. Leider ist die Klimaanlage ausgefallen und einige Meter weiter schnarcht einer so laut, dass es wie Mopedknattern klingt, aber ansonsten ist die Fahrt angenehm und ich erreiche am nächsten Morgen Mughalsarai. Dort werde ich auch gleich von Peter, einem Freund von meinem letzten Besuch in Indien, abgeholt. Nachdem Peter mich einem Teil seiner Familie in Kachhwaa vorgestellt hat und wir gefrühstückt haben, geht es nach Varanasi zum Sightseeing. Weil auch seine Frau und einige andere noch nicht dort waren, wird es gleich zum Familienausflug. Der Buddhatempel und der Ort, an dem er zum ersten Mal gepredigt haben soll sind beeindruckend, und die Bootsfahrt auf dem Ganges lohnt sich. Ansonsten ist Varanasi eine ähnlich laute, dreckige und hoffnungslos überfüllte indische Stadt wie so viele andere.



Samstag, 19. Dezember 2009

Abschied von Siliguri

Nach einigen entspannten Tagen in Siliguri geht es heute weiter, nächste Station ist Varanasi in Uttar Pradesh. Heute streikt aber der restliche Bundesstaat gegen Gorkhaland, das heißt, wir werden mit dem Motorrad zum Bahnhof müssen. Und ob der Zug wirklich fährt, werde ich auch erst sicher wissen, wenn ich drinsitze...

Around Siliguri

Der Streik ist erst mal wieder zu Ende, keiner weiß warum, keiner weiß für wie lange. Wir nehmen trotzdem das Motorrad, um in einige Dörfer in der Nähe von Siliguri zu gelangen. Die Straßen sind auch nicht wirklich für Autos gedacht – ich würde hier wohl nicht mal freiwillig mit dem Mountainbike fahren. Der Fluß führt zum Glück nicht so viel Wasser – eine Brücke gibt es hier nicht. Etwas tiefer als gedacht ist er dann aber schon… Siliguri wächst sehr schnell, ohne jegliche Planung oder Infrastruktur. Hier draußen sind die meisten Leute Tagelöhner, die nebenher noch etwas Reis für den Eigenbedarf anbauen. Wir besuchen noch die Familie eines Bekannten, dann machen wir uns auf den Heimweg, weil es langsam dunkel wird. Hier gibt es wilde Elefanten, die im Dunkeln gefährlich werden können…

Montag, 14. Dezember 2009

Siliguri

Die Region nördlich von Siliguri will als Gorkhaland ein eigenständiger Bundesstaat werden. Der eigentlich schon hundert Jahre alte Konflikt ist seit einiger Zeit wieder aufgeflammt, und ab heute ist für vier Tage Streik in den Bergen angesagt. Deshalb mussten wir unsere für diese Woche geplante Tour wieder abblasen, Fahrzeuge mit mehr als zwei Rädern dürfen nicht fahren und alle Läden bleiben geschlossen. Ich versuche, die Zeit zu nutzen und hoffe, dass sich die Lage bald wieder entspannt.

Kalimpong

Am nächsten Tag brechen wir bereits um 5.30 Uhr auf, um noch vor der Hauptverkehrszeit aus der Stadt zu kommen. Es geht weiter Richtung Norden. Kalimpong ist zwar nur 65 km von Siliguri entfernt, aber wir brauchen dafür zweieinhalb Stunden. Nördlich von Siliguri geht es durch dichte Wälder, dann geht es entlang des Teesta River aufwärts. Die Straßen werden kontinuierlich schlechter. Leider ist es recht neblig und die Sicht ist schlecht. Trotzdem genieße ich die Fahrt durch die Berge.


In Kalimpong kommen wir im Guesthouse einer alten schottischen Schule unter. Nach einer Frühstückspause geht es weiter, in ein Dorf in den Bergen. Die Straße wird noch schlechter. Schließlich endet sie, und wir legen die letzten Kilometer zu Fuß zurück, es geht jetzt steil bergab. Die Umgebung ist beeindruckend, ebenso die Art und Weise, wie die Menschen hier leben. Zwar gibt es ein Wasserleitungssystem und Strom, aber die Landwirtschaft ist hier mühselig und die Wege weit.





Von einem Dorf kann auch nicht wirklich die Rede sein, die Häuser liegen weit verstreut im Wald und sind nur durch schmale Bergpfade miteinander verbunden. Wir können uns nicht dagegen wehren, dass man uns zum Mittagessen einlädt, müssen jedoch bald wieder aufbrechen, da es über vier Stunden dauern wird, bis wir wieder in Kalimpong sind.

Dort verbringen wir die nächsten beiden Tage. Die Gegend ist bekannt für einige Schulen, die aufgrund des recht angenehmen - und im Winter recht kalten - Klimas schon während der britischen Kolonialzeit hier entstanden sind. Der Bekannte, mit dem ich unterwegs bin, ist hier aufgewachsen und trifft an jeder Ecke alte Freunde. Er zeigt mir eine Fabrik, in der Papier von Hand hergestellt wird und auch das hiesige Krankenhaus. Ich finde auch das Wasserleitungssystem sehr interessant.










Auf dem Campus der alten Schule, auf dem wir wohnen, steht auch eine riesige Kirche, die so gar nicht in diese Welt zu passen scheint. Als wir dort in den Gottesdienst gehen, fällt mir sofort das Klavier auf, das in einer Ecke steht. Ich frage anschließend, ob ich spielen darf, und sie schließen es mir auch gerne auf - leider ist das Instrument in einem so desolaten Zustand, dass ich lieber nur ein Foto mache und dann den Deckel schnell wieder zuklappe. Schade.

Siliguri

Schon am nächsten Tag geht es weiter nach Osten. Vom Domestic Airport in Delhi fliege ich weiter nach Bagdogra in West Bengal. Ich sitze auf der richtigen Seite des Flugzeugs und sehe fast während des gesamten Flugs zwischen den Wolken die Gipfel des Himalaya. Beeindruckend. In Siliguri werde ich die nächsten Tage bei Freunden verbringen.

Sonntag, 13. Dezember 2009

Delhi

6.30 Uhr. Der Nebel hängt noch tief über Delhi. Es wird langsam hell. Die Straßen zum Flughafen sind wegen der für 2010 anstehenden Commonwealth Games enorm ausgebaut worden, für Indien in einem außergewöhnlich guten Zustand und um diese Uhrzeit noch völlig leer. Neben der Straße, oder eher den Straßen, eine riesige Baustelle, hier entsteht die Delhi Metro. Ganz Delhi ist Baustelle. Wir fahren in einem für meine Verhältnisse noch sehr gemütlichen Tempo kilometerweit durch die Stadt, überholen einige wenige Autorickshaws, fahren an schlafenden Straßenkindern vorbei. Am Horizont geht glutrot die Sonne auf. Händler bauen langsam ihre Stände auf. Überall sind schon Menschen, für indischen Verhältnisse noch sehr wenige. Es ist überwältigend, mitzuerleben, wie diese Millionenstadt, die doch niemals schläft, langsam erwacht. 21,5 Millionen sollen es inzwischen sein.
Ich komme hier bei der Schwester eines Freundes unter. Ich bin wieder neu beeindruckt von der Gastfreundschaft hier. Nach dem Frühstück fahren wir los, die wichtigsten Sehenswürdigkeiten in Delhi abklappern: Qutab Minar, Red Fort, die Regierungsgebäude, India Gate, Lotus Temple. Alles in dieser Stadt ist riesig. Und die alten Gebäude sind beeindruckend. Ebenso die Eintrittspreise - für Ausländer 250 Rupien, für Inder 10.



Wenn ich vieles nicht schon kennen würde, würden mich all die Eindrücke wohl erschlagen. Ob es das indische Kopfschütteln ist oder der chaotische Verkehr, der teils eigenwillige Akzent oder das Fahren auf der linken Straßenseite. So viele Menschen, so viele Farben, die typischen Gerüche, die kleinen Eigenheiten. Chai zu jeder Tages- und Nachtzeit, Steckdosen, die man einschalten muss, Bettler an jeder Ecke, Straßenhändler und kleine Läden in einem fort, Riegel an der Tür, die man nur von einer Seite öffnen kann, das permanente Angestarrt-werden auf der Straße, Schulkinder in Uniform, Blumenketten, Tempel, Sikhs mit Turban, Fahrradrickshaws, Kühe noch und nöcher, und überall Menschen, Menschen, Menschen.